Hyundai Ioniq 5 N – Das emotionalste E-Auto unter 80.000 €?

Brachiale, lautlose Beschleunigung – daran haben wir uns bei Elektroautos gewöhnt. Doch was kommt danach? Oft eine sterile Leere, ein Fehlen von Drama, Sound und jener mechanischen Rückmeldung, die sportliches Fahren seit jeher ausmacht. Genau dieses emotionale Vakuum will Hyundai mit dem Ioniq 5 N füllen. Die koreanische Performance-Abteilung “N” hat das bekannte, retro-futuristische Crossover-Modell genommen und es in ein radikales, 650 PS starkes “digitales Hot Hatch” für das Elektrozeitalter verwandelt. Mit simulierten Schaltvorgängen, künstlichem Motor-Sound und einem Drift-Modus verspricht er mehr Fahrspaß als jeder andere Stromer in seiner Preisklasse. Ist das nur eine clever programmierte Mogelpackung oder die emotionale Revolution, auf die wir gewartet haben?

Mehr als nur Leistung: Die N-Technologien im Detail

Der Ioniq 5 N ist weit mehr als nur eine leistungsgesteigerte Version des Standardmodells. Er ist ein von Grund auf überarbeitetes Performance-Fahrzeug. Die Karosserie wurde mit zusätzlichen Schweißpunkten und Klebeverbindungen massiv versteift, das Fahrwerk ist tiefer, straffer und verfügt über adaptive Dämpfer. Doch die wahre Magie liegt in der Software, die das Fahrerlebnis definieren soll.

• N Grin Boost: Ein Knopf am Lenkrad, der für 10 Sekunden die maximale Leistung von 478 kW (650 PS) freischaltet. Ideal für Überholmanöver.
• N e-Shift: Dieses System simuliert die Schaltvorgänge eines 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebes. Beim “Hochschalten” gibt es einen spürbaren Ruck und eine Anpassung der Leistungsabgabe, begleitet von einer Drehzahlanzeige im Cockpit. Beim “Herunterschalten” rekuperiert das Auto stärker und simuliert die Motorbremse.
• N Active Sound +: Zehn Lautsprecher (acht innen, zwei außen) erzeugen eine komplexe Klangkulisse. Der Modus “Ignition” imitiert den Sound eines Vierzylinder-Turbomotors, “Evolution” einen futuristischen E-Sound und “Supersonic” klingt wie ein Düsenjet.
• N Drift Optimizer: Ein spezieller Fahrmodus, der die Kraftverteilung so regelt, dass kontrollierte Drifts auf der Rennstrecke möglich werden.

Der Ingenieur-Kompromiss: All diese digitalen Features sind eine Abkehr von der puristischen Lehre des reinen E-Fahrens. Sie simulieren bewusst die “Unvollkommenheiten” eines Verbrenners – die Schaltpausen, den Lärm, die Vibrationen. Man gewinnt eine immense emotionale Ebene und ein völlig neues Gefühl der Kontrolle, opfert aber die seidenglatte, lautlose Effizienz, die viele am E-Antrieb schätzen. Es ist eine bewusste Entscheidung für den Fahrspaß und gegen die reine Lehre.

Wie fährt er sich auf Straße und Rennstrecke?

Auf der normalen Straße, mit deaktivierten N-Features, ist der Ioniq 5 N ein straffes, aber alltagstaugliches E-Auto. Aktiviert man jedoch die N-Modi, verwandelt er sich. Das “N e-Shift”-System ist verblüffend effektiv. Der simulierte “Schaltruck” gibt dem Fahrer eine physische Rückmeldung über die Beschleunigung, die bei linearen E-Antrieben fehlt. Man fühlt sich wieder aktiv in den Prozess des Schnellfahrens eingebunden.

Auf der Rennstrecke zeigt der Ioniq 5 N sein wahres Potenzial. Das Thermomanagement des 84-kWh-Akkus ist exzellent. Dank eines verbesserten Kühlkreislaufs und der Funktion “N Battery Pre-conditioning”, die die Zellen auf die optimale Temperatur für maximale Leistung oder eine schnelle Runde bringt, liefert der Wagen Runde für Runde eine konstante Performance ohne Überhitzung – eine entscheidende Schwachstelle vieler anderer Performance-E-Autos. Die mechanische Traktion ist dank der breiten Pirelli P-Zero-Reifen und des elektronisch geregelten Sperrdifferenzials an der Hinterachse phänomenal.

Akku, Laden und Reichweite: Die Kehrseite der Medaille

Die Konzentration auf maximale Performance hat ihren Preis. Mit einer WLTP-Reichweite von 448 Kilometern gehört der Ioniq 5 N nicht zu den Reichweiten-Champions. Im realen Alltagsbetrieb sollte man mit etwa 350 bis 380 Kilometern rechnen. Wer das Potenzial des Autos auch nur ansatzweise nutzt, sieht die Reichweite rapide schmelzen – ein Verbrauch von über 30 kWh/100 km ist bei sportlicher Fahrweise problemlos erreichbar.

Dank der 800-Volt-Architektur ist der Ioniq 5 N aber auch extrem schnell wieder startklar. An einer 350-kW-HPC-Säule lädt der Akku in nur 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent. Die Lade-Performance gehört zur absoluten Spitze im Markt.

Tipp von Alex Wind: Der Ioniq 5 N ist eines der wenigen E-Autos, das über die Vehicle-to-Load (V2L) Funktion verfügt. Mit einem Adapter können Sie an der Ladebuchse eine normale 230-Volt-Steckdose mit bis zu 3,6 kW Leistung betreiben. Damit können Sie auf der Rennstrecke Ihre Reifenwärmer, einen Laptop oder eine Kaffeemaschine betreiben – ein unglaublich praktisches Feature für Trackday-Enthusiasten.

Fazit: Eine neue Definition von elektrischem Fahrspaß

Der Hyundai Ioniq 5 N ist ein Meilenstein. Er ist das erste Elektroauto, das den Fahrer nicht nur mit absurder Längsbeschleunigung beeindruckt, sondern ihn aktiv einbindet, ihn unterhält und ihm ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Die digitalen Fahrspaß-Features sind keine billigen Gimmicks, sondern tief in die Fahrzeugdynamik integrierte Werkzeuge, die eine emotionale Verbindung schaffen, die man bisher nur von hochkarätigen Verbrennern kannte.

Er ist nicht das vernünftigste oder effizienteste E-Auto. Aber er ist mit einem Startpreis von unter 75.000 Euro mit Abstand das emotionalste und unterhaltsamste. Er beweist, dass die Zukunft des sportlichen Fahrens nicht still und seelenlos sein muss. Für jeden, dem Fahrspaß wichtiger ist als die letzte Meile Reichweite, ist der Ioniq 5 N eine absolute Offenbarung.

Hyundai Ioniq 5 N