E-Auto-Mythen im Faktencheck: Brandgefahr, Kobalt und die wahre CO2-Bilanz

Die Elektromobilität ist mehr als nur eine neue Antriebsart – sie ist ein Technologiewandel, der tiefsitzende Gewohnheiten und Überzeugungen in Frage stellt. Diese Unsicherheit ist der perfekte Nährboden für Mythen und Halbwahrheiten, die sich hartnäckig in den Köpfen vieler Menschen festsetzen. Doch was ist dran an den Schreckensszenarien von unkontrollierbaren Batteriebränden, unethischen Rohstoffen und einer katastrophalen Klimabilanz? Wir nehmen die drei größten E-Auto-Mythen unter die Lupe und konfrontieren sie mit ungeschönten Fakten und aktuellen Studienergebnissen.

Mythos 1: “Elektroautos brennen ständig und sind eine unkontrollierbare Gefahr”

Die Bilder brennender E-Autos in den Nachrichten sind eindringlich und prägen die öffentliche Wahrnehmung. Doch die Realität, gestützt durch Zahlen von Versicherern und Unfallforschern, zeichnet ein völlig anderes Bild.

Die Fakten zur Häufigkeit

Statistiken, unter anderem aus den USA, wo eine Meldepflicht existiert, zeigen ein konsistentes Ergebnis: Gemessen an der Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge, ist die Brandwahrscheinlichkeit bei einem reinen Elektroauto um ein Vielfaches geringer als bei einem Verbrenner oder einem Hybrid-Fahrzeug. Eine vielzitierte Studie der US-Versicherungsaufsicht ergab pro 100.000 verkaufter Fahrzeuge folgende Brandfälle:

  • Hybrid-Fahrzeuge: ca. 3.475 Brände
  • Benzin-/Dieselfahrzeuge: ca. 1.530 Brände
  • Elektrofahrzeuge: ca. 25 Brände

Experten von Organisationen wie der DEKRA oder dem Deutschen Feuerwehrverband (DFV) bestätigen, dass von E-Autos kein grundsätzlich höheres Brandrisiko ausgeht. Ein Verbrenner hat hunderte Grad heiße Oberflächen und ein Netzwerk aus Leitungen, durch die eine leicht entzündliche Flüssigkeit gepumpt wird – ein an sich schon hohes Brandrisiko.

Die Fakten zur Brandbekämpfung

Hier liegt ein wahrer Kern des Mythos. Wenn eine Hochvoltbatterie Feuer fängt, ist der Brand anders und anspruchsvoller zu löschen. Der Grund ist ein als “thermisches Durchgehen” (Thermal Runaway) bekannter Prozess, bei dem sich die Batteriezellen in einer Kettenreaktion gegenseitig entzünden. Solche Brände erfordern von den Feuerwehren spezielle Taktiken, vor allem Unmengen an Wasser über einen langen Zeitraum, um den Akku zu kühlen und die Kettenreaktion zu stoppen.

Fazit zum Brandrisiko: Das Risiko, dass ein E-Auto überhaupt in Brand gerät, ist statistisch signifikant niedriger als bei einem Verbrenner. Die Herausforderung liegt nicht in der Häufigkeit, sondern in den speziellen Löschmethoden, auf die sich die Feuerwehren aber zunehmend einstellen.

Mythos 2: “Die Batterien sind unethisch und voller Kinderarbeit-Kobalt”

Die ethische Gewinnung von Rohstoffen ist eine der größten Herausforderungen der globalisierten Welt, und die Batterieproduktion bildet da keine Ausnahme. Der Vorwurf konzentriert sich meist auf Kobalt, dessen Abbau in der Demokratischen Republik Kongo teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen stattfindet.

Das Problem anerkennen

Es ist unbestreitbar, dass die Kobaltgewinnung, insbesondere im Kleinbergbau im Kongo, mit gravierenden sozialen und ökologischen Problemen behaftet ist. Automobilhersteller stehen hier in der Verantwortung, ihre Lieferketten lückenlos zu überwachen – eine Aufgabe, der sie mit wachsendem Druck nachkommen.

Die technologische Lösung: Der Vormarsch der LFP-Batterie

Die mit Abstand wichtigste Entwicklung in dieser Debatte ist ein technologischer Wandel, der das Problem an der Wurzel packt. Die Industrie bewegt sich mit hohem Tempo weg von kobalthaltigen Batteriezellchemien. Die Lösung heißt Lithium-Eisenphosphat (LFP).

  • NMC-Batterien (Nickel-Mangan-Kobalt): Diese waren lange der Standard für Batterien mit hoher Energiedichte. Der Kobaltanteil wurde hier über die Jahre bereits von über 20% auf unter 5% reduziert.
  • LFP-Batterien (Lithium-Eisenphosphat): Diese Zellchemie kommt komplett ohne Kobalt und Nickel aus. Sie ist nicht nur ethisch unbedenklich, sondern auch günstiger, langlebiger und thermisch stabiler, also sicherer.

War die LFP-Technologie anfangs noch Modellen mit geringerer Reichweite vorbehalten, ist sie heute absoluter Mainstream. Führende Hersteller wie Tesla (im Model 3 und Y mit Standardreichweite), Ford, Volvo und der gesamte VW-Konzern setzen für ihre Volumenmodelle zunehmend auf kobaltfreie LFP-Akkus.

Fazit zur Ethik: Das Kobalt-Problem ist real. Doch der Mythos verschweigt, dass die E-Auto-Industrie die einzige Branche ist, die dieses Problem mit Milliardeninvestitionen technologisch löst und den umstrittenen Rohstoff aktiv aus ihren Produkten verbannt. Der Kauf eines E-Autos mit LFP-Batterie ist heute der wirksamste Weg, ein klares Zeichen gegen den problematischen Kobaltabbau zu setzen.

Mythos 3: “Mit dem CO2-Rucksack ist ein E-Auto schmutziger als ein Diesel”

Dieser Mythos ist der komplexeste und hartnäckigste. Er besagt, dass die energieintensive Produktion der Batterie einen so großen “CO2-Rucksack” erzeugt, dass ein E-Auto diesen Nachteil während seiner Lebensdauer niemals aufholen kann.

Die Fakten zum “CO2-Rucksack”

Es ist korrekt, dass die Produktion eines E-Autos, vor allem des Akkus, mehr CO2-Emissionen verursacht als die eines vergleichbaren Verbrenners. Dieser anfängliche Klimanachteil ist der sogenannte “CO2-Rucksack”.

Der entscheidende Faktor: Der Break-Even-Punkt

Die entscheidende Frage ist: Ab wie vielen gefahrenen Kilometern hat das E-Auto seinen anfänglichen CO2-Rucksack durch den emissionsfreien Betrieb wieder “abgearbeitet” und ist in der Gesamtbilanz sauberer als der Verbrenner? Dieser Wert wird als “energetischer Amortisationspunkt” oder Break-Even-Punkt bezeichnet.

Zahlreiche Studien, unter anderem vom Fraunhofer-Institut, dem ADAC und dem International Council on Clean Transportation (ICCT), haben diesen Punkt für Deutschland berechnet. Das Ergebnis hängt stark davon ab, wie der Strom erzeugt wird, mit dem das Auto geladen wird.

  • Mit dem deutschen Strommix: Ein E-Auto der Kompaktklasse ist nach ca. 45.000 bis 60.000 Kilometern klimafreundlicher als ein moderner Benziner. Gegenüber einem Diesel liegt der Punkt bei ca. 70.000 bis 90.000 Kilometern.
  • Mit 100% Ökostrom: Lädt man das Fahrzeug ausschließlich mit zertifiziertem Grünstrom, ist der Break-Even-Punkt bereits nach etwa 25.000 bis 30.000 Kilometern erreicht.

Ein durchschnittlicher Autofahrer in Deutschland erreicht diese Marken bereits nach drei bis sechs Jahren. Über eine typische Haltedauer von 150.000 Kilometern ist die CO2-Gesamtbilanz des E-Autos also massiv besser.

Tipp von Alex Wind: Der Mythos vergisst oft die “Well-to-Wheel”-Betrachtung (von der Quelle bis zum Rad). Auch die Förderung, der Transport und die Raffinierung von Rohöl zu Benzin oder Diesel verursachen erhebliche CO2-Emissionen, noch bevor der erste Tropfen im Tank landet. Diese Vorkette wird in seriösen Vergleichen mit einberechnet und verbessert die Bilanz des E-Autos zusätzlich.

Fazit zur Klimabilanz: Ja, das E-Auto startet mit einem CO2-Rucksack. Diesen arbeitet es aber, selbst mit dem heutigen deutschen Strommix, nach einer überschaubaren Laufleistung wieder ab. Über den gesamten Lebenszyklus ist es die unbestreitbar klimafreundlichere Antriebstechnologie.

Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von Voltfokus.de und Chefredakteur des Mediennetzwerks, zu dem auch HH-AUTO gehört. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit Spezialisierung auf alternative Antriebe und Batterietechnologie bringt er über 10 Jahre Branchenerfahrung in seine Analysen ein. Bei Voltfokus.de teilt er seine Expertise in fundierten Tests, Ratgebern und technischen Berichten rund um die Elektromobilität.