Zwei Pedale, Gas und Bremse – das ist seit über einem Jahrhundert das unumstößliche Prinzip des Autofahrens. Die Elektromobilität stellt diese Gewissheit auf den Kopf und bietet eine völlig neue Art der Fortbewegung: das “One-Pedal-Driving”, also das Fahren mit nur einem Pedal. Viele Hersteller preisen es als intuitive und besonders effiziente Funktion an. Doch was steckt technisch dahinter? Fährt man damit wirklich sparsamer? Und ist es sicher? Wir analysieren die Funktionsweise, die Vor- und Nachteile und klären den Mythos um die Effizienz.
Was ist One-Pedal-Driving und wie funktioniert es?
One-Pedal-Driving ist die stärkste Ausbaustufe der Energierückgewinnung, der sogenannten Rekuperation. Grundsätzlich funktioniert jeder Elektromotor auch als Generator.
- Beim Beschleunigen nimmt der Motor Strom aus dem Akku auf und wandelt ihn in Bewegung um.
- Beim “Vom-Gas-Gehen” kehrt sich der Prozess um: Die Bewegungsenergie der Räder treibt nun den Motor an, der als Generator agiert und Strom erzeugt, der zurück in den Akku fließt.
Dieser Effekt fühlt sich an wie das Bremsen mit dem Motor bei einem Verbrenner. Beim One-Pedal-Driving wird diese “Motorbremse” jedoch so stark ausgelegt, dass sie das Fahrzeug im Stadtverkehr bis zum vollständigen Stillstand abbremsen kann, ohne dass der Fahrer das Bremspedal betätigen muss. Das Gaspedal wird so zu einem “Fahrpedal”: Drücken zum Beschleunigen, leichtes Lupfen zum “Rollen” und vollständiges Loslassen zum Bremsen.
Der große Effizienz-Streit: One-Pedal-Driving vs. “Segeln”
Die Kernfrage lautet: Ist diese starke, ständige Rekuperation wirklich der effizienteste Weg, ein E-Auto zu bewegen? Die Antwort ist ein klares “Jein” und hängt von der Fahrsituation ab.
Der Fall für One-Pedal-Driving: Maximale Energierückgewinnung
Im dichten Stadtverkehr mit seinen unzähligen, unvorhersehbaren Stopps an Ampeln, Zebrastreifen oder im Stau ist One-Pedal-Driving unschlagbar. Jede Bremsung, die ansonsten als Wärme an den Bremsscheiben verloren ginge, wird hier zur Energierückgewinnung genutzt. Da Bremsen in der Stadt unvermeidlich ist, sorgt OPD dafür, dass dabei so viel Energie wie möglich recycelt wird. Studien haben gezeigt, dass sich die Reichweite im urbanen Umfeld dadurch um bis zu 20% erhöhen kann.
Der Fall für das “Segeln”: Die Physik des Schwunges
Die physikalisch effizienteste Art der Fortbewegung ist jedoch, die einmal aufgebaute Bewegungsenergie so lange wie möglich zu erhalten. Jede Umwandlung von Energie – von kinetischer zu elektrischer (Rekuperation) und wieder zurück – ist mit Verlusten behaftet.
Auf einer freien Landstraße oder der Autobahn ist es daher am cleversten, vorausschauend zu fahren und das Auto “segeln” zu lassen. Das bedeutet, man stellt die Rekuperation auf eine sehr niedrige Stufe oder ganz aus. Nähert man sich einem Tempolimit oder einer Ortschaft, geht man frühzeitig vom Gas und lässt das Auto mit minimalem Energieverlust rollen, anstatt stark zu rekuperieren und danach wieder beschleunigen zu müssen.
Der Ingenieur-Kompromiss: One-Pedal-Driving ist die effizienteste Methode, um unvermeidbare Bremsvorgänge zu nutzen. Das Segeln ist die effizienteste Methode, um Bremsvorgänge von vornherein zu vermeiden. Ein wirklich guter Fahrer beherrscht beides.
Tipp von Alex Wind: Der perfekte Ort für One-Pedal-Driving ist nicht nur die Stadt, sondern auch eine kurvige Bergabfahrt. Statt permanent die Bremse zu betätigen, können Sie die Geschwindigkeit perfekt mit dem Fahrpedal modulieren und speisen dabei konstant Energie zurück in den Akku – die Bremsen bleiben kalt und verschleißen nicht.
Die Vor- und Nachteile in der Praxis
| Vorteile | Nachteile |
| Hohe Energierückgewinnung im Stadtverkehr | Kann für Mitfahrer ruckelig wirken |
| Stark reduzierter Bremsenverschleiß | Nicht immer die effizienteste Methode (Segeln) |
| Entspannteres Fahren im dichten Verkehr und Stau | Bremspedalgefühl kann bei seltener Nutzung ungewohnt sein |
| Perfekte Kontrolle bei Bergabfahrten | Man muss das vorausschauende Fahren neu lernen |
Eine wichtige Sicherheitsfrage: Leuchtet das Bremslicht?
Ja. Diese Sorge ist unbegründet. In Europa ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die Bremslichter ab einer bestimmten Verzögerungsstärke aufleuchten müssen. Moderne E-Autos messen diese Verzögerung permanent. Sobald die Rekuperation eine gewisse Stärke überschreitet (vergleichbar mit einem leichten Tritt auf die Bremse), werden die Bremslichter automatisch aktiviert, um den nachfolgenden Verkehr zu warnen – auch wenn Ihr Fuß meilenweit vom Bremspedal entfernt ist.
Fazit: Eine neue Art des Fahrens, die man entdecken sollte
One-Pedal-Driving ist mehr als nur eine technische Spielerei. Es ist ein fundamental neues Fahrerlebnis, das den urbanen Pendelverkehr entspannter und effizienter macht. Es reduziert den Verschleiß der mechanischen Bremsen so stark, dass diese oft nur noch bei Notbremsungen oder nach langer Standzeit wegen Flugrost quietschen.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, die Funktion als ein Werkzeug unter mehreren zu begreifen. Probieren Sie die verschiedenen Rekuperationsstufen Ihres Fahrzeugs aus. Nutzen Sie die stärkste Stufe für die Stadt und den Berufsverkehr. Wählen Sie eine schwache Stufe oder den Segel-Modus für die vorausschauende Fahrt über Land. Wer lernt, situationsabhängig zwischen starker Rekuperation und freiem Rollen zu wechseln, wird nicht nur entspannter, sondern auch maximal effizient unterwegs sein.
