Over-the-Air-Updates (OTA): Wie Ihr Auto im Schlaf besser wird

Wir haben uns daran gewöhnt: Unser Smartphone erhält regelmäßig Software-Updates, die es sicherer, schneller und mit neuen Funktionen besser machen. Was in der Welt der Unterhaltungselektronik längst Standard ist, war in der Automobilindustrie über Jahrzehnte undenkbar. Ein Auto war bei seiner Auslieferung technologisch “fertig” – Verbesserungen gab es nur mit dem Kauf des nächsten Modells. Die Elektromobilität, angeführt von Tesla, hat diese Regel gebrochen. “Over-the-Air”-Updates, kurz OTA, verwandeln das Auto von einem statischen Produkt in ein dynamisches System, das sich über seine Lebenszeit konstant weiterentwickelt. Wir erklären, wie diese Technologie funktioniert und warum sie für E-Autos ein entscheidender Game-Changer ist.

Was genau ist ein “Over-the-Air”-Update?

“Over-the-Air” bedeutet wörtlich “über die Luft”. Das Fahrzeug lädt neue Software-Pakete direkt über seine fest eingebaute Mobilfunkverbindung (SIM-Karte) oder über ein bekanntes WLAN-Netzwerk herunter, genau wie ein Smartphone. Der Fahrer wird über einen neuen Download informiert und kann die Installation starten, meist über Nacht, wenn das Auto geparkt ist.

Der entscheidende Vorteil: Der lästige und zeitraubende Besuch in der Werkstatt, der früher für jedes Software-Update an einem Steuergerät nötig war, entfällt komplett. Das Auto wartet sich quasi selbst.

Der Unterschied: Infotainment- vs. tiefgreifende Fahrzeug-Updates

Nicht alle OTA-Updates sind gleich. Man muss zwischen zwei fundamentalen Ebenen unterscheiden:

  1. Infotainment-Updates (die Basis): Hier werden nur das Navigationssystem, die Karten, Apps oder die Sprachsteuerung aktualisiert. Dies beherrschen heute viele moderne Autos, auch Verbrenner.
  2. Tiefgreifende Fahrzeug-Updates (die Revolution): Dies ist die eigentliche Stärke von “Software-defined Vehicles” wie den meisten E-Autos. Hier greifen die Updates auf die zentralen Steuergeräte des Fahrzeugs zu. Sie können die Funktionsweise des Antriebs, des Batteriemanagements oder der Assistenzsysteme fundamental verändern.

Warum OTA-Updates für E-Autos ein Game-Changer sind

Weil ein E-Auto in viel höherem Maße von seiner Software definiert wird als ein Verbrenner, sind die Auswirkungen von OTA-Updates hier ungleich größer.

Mehr Reichweite und Effizienz

Die Software, die den Elektromotor und das Batteriemanagement steuert, ist extrem komplex. Durch kontinuierliche Optimierung der Algorithmen können Hersteller die Effizienz des gesamten Antriebsstrangs auch bei bereits ausgelieferten Fahrzeugen verbessern. So hat beispielsweise Polestar durch ein OTA-Update die reale Reichweite des Polestar 2 um mehrere Kilometer erhöht, indem die Leistungsabgabe und das Thermomanagement optimiert wurden.

Bessere Performance und Ladeleistung

Ein berühmtes Beispiel ist Tesla, das in der Vergangenheit per Software-Update die Beschleunigung einiger Modelle um mehrere Zehntelsekunden verbessert hat. Ebenso können Updates die Ladekurve optimieren, die Vorkonditionierung der Batterie verbessern und so für schnellere und stabilere Ladezeiten am DC-Schnelllader sorgen.

Völlig neue Funktionen

Dies ist der spektakulärste Aspekt. Hersteller können Funktionen freischalten, an die beim Kauf des Autos noch gar nicht zu denken war. Teslas “Wächter-Modus” (Sentry Mode), der das geparkte Auto per Kameras überwacht, oder der “Hunde-Modus” (Dog Mode), der den Innenraum für zurückgelassene Haustiere klimatisiert, wurden beide per OTA-Update auf bereits fahrende Autos aufgespielt.

Tipp von Alex Wind: Eine gute OTA-Fähigkeit ist einer der stärksten Hebel gegen den Wertverlust. Ein vier Jahre altes E-Auto, das durch regelmäßige Updates über eine aktuelle Software und moderne Funktionen verfügt, ist auf dem Gebrauchtmarkt deutlich attraktiver als ein gleich altes Modell, das technologisch auf dem Stand seiner Auslieferung stehen geblieben ist.

Wer sind die Pioniere und wer zieht nach?

  • Tesla: Ist und bleibt der unangefochtene Pionier und Maßstab. Kein anderer Hersteller liefert so häufig so tiefgreifende Updates für fast alle Fahrzeugsysteme.
  • Polestar / Volvo: Dank ihres auf Android Automotive basierenden Systems sind sie technologisch sehr weit vorne und liefern ebenfalls regelmäßig substantielle Funktions- und Effizienz-Updates.
  • VW-Konzern (VW, Audi, Skoda): Nach anfänglichen, massiven Software-Problemen bei der ID.-Familie hat der Konzern aufgeholt. Mittlerweile kommen auch hier regelmäßig umfangreiche Updates an, die Bedienung, Effizienz und Ladeplanung verbessern.
  • BMW / Mercedes: Beide Premium-Hersteller verfügen über eine robuste OTA-Architektur, die es ihnen ermöglicht, neue Funktionen und Apps aufzuspielen, insbesondere im Bereich Infotainment und Fahrerassistenz.

Der Ingenieur-Kompromiss: Die totale Vernetzung hat auch ihre Kehrseiten. Ein fehlgeschlagenes Update kann im schlimmsten, aber extrem seltenen Fall, das Auto lahmlegen (“bricken”). Viel wichtiger ist das Thema Cybersicherheit. Die Hersteller investieren riesige Summen, um die Fahrzeugarchitektur gegen Hacker-Angriffe abzusichern. Man gewinnt eine unglaubliche Flexibilität, muss aber auf die Sicherheitsarchitektur des Herstellers vertrauen.

Fazit: Ein entscheidendes Kriterium für den modernen Autokauf

Die Fähigkeit, tiefgreifende Over-the-Air-Updates zu empfangen, ist kein Gimmick mehr. Sie ist ein zentrales Merkmal eines zukunftssicheren Elektroautos. Sie entscheidet darüber, ob Ihr Fahrzeug technologisch altert oder mit der Entwicklung Schritt hält.

Fragen Sie beim Autokauf daher nicht nur, ob das Auto OTA-Updates empfangen kann, sondern welche Systeme aktualisiert werden und wie die Update-Historie des Herstellers aussieht. Ein Auto ist heute nicht mehr nur ein Stück Hardware, sondern eine dynamische Software-Plattform. Und nur wer auf die richtige Plattform setzt, wird auch in fünf Jahren noch “Freude am Fahren” haben.

Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von Voltfokus.de und Chefredakteur des Mediennetzwerks, zu dem auch HH-AUTO gehört. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit Spezialisierung auf alternative Antriebe und Batterietechnologie bringt er über 10 Jahre Branchenerfahrung in seine Analysen ein. Bei Voltfokus.de teilt er seine Expertise in fundierten Tests, Ratgebern und technischen Berichten rund um die Elektromobilität.