Der Markt für gebrauchte Elektroautos wächst rasant und lockt mit attraktiven Preisen. Doch während Kratzer im Lack und der Zustand der Sitze leicht zu beurteilen sind, verbirgt sich die größte Unsicherheit im Herzen des Fahrzeugs: der Hochvolt-Batterie. Ihre Gesundheit, der “State of Health” (SOH), entscheidet über die Reichweite, die Leistung und letztendlich über den wahren Wert des Autos. Die Angst vor einem “schwachen” Akku ist die größte Hürde für viele Käufer. Mit dem richtigen Wissen und einer systematischen Prüfung lässt sich dieses Risiko jedoch minimieren. Wir führen Sie durch den großen Akku-Check und zeigen, worauf Sie sonst noch achten müssen, um ein gutes gebrauchtes E-Auto mit Vertrauen zu kaufen.
Das Herzstück: So prüfen Sie die Gesundheit der Batterie (SOH)
Der State of Health (SOH) ist der wichtigste Kennwert eines gebrauchten E-Autos. Er beschreibt die verbleibende nutzbare Kapazität des Akkus in Prozent im Vergleich zum Neuzustand. Ein vier Jahre altes Fahrzeug mit einem SOH von 92% hat also noch 92% seiner ursprünglichen Reichweite. Eine natürliche Alterung (Degradation) von 1,5 bis 3,5 Prozent pro Jahr ist normal. Ein deutlich niedrigerer SOH kann jedoch ein Warnsignal sein und sollte zu einem erheblichen Preisabschlag führen.
Die professionelle Methode: Das Batteriezertifikat (Goldstandard)
Verlassen Sie sich niemals nur auf die Aussage des Verkäufers oder die Reichweitenanzeige im Auto. Der einzig verlässliche Weg ist ein unabhängiges Batteriezertifikat von einer anerkannten Prüforganisation. In Deutschland gibt es dafür mehrere Anlaufstellen:
- DEKRA: Bietet einen patentierten Batterie-Schnelltest an, der in nur 15 Minuten einen präzisen SOH-Wert ermittelt. Dieser Test ist bundesweit in vielen Niederlassungen verfügbar und kostet rund 100 Euro.
- TÜV SÜD & TÜV Rheinland: Bieten in Kooperation mit Spezialisten wie Aviloo ebenfalls detaillierte Batterietests an. Diese können je nach Umfang etwas länger dauern, liefern aber ein umfassendes Bild. Die Kosten liegen meist zwischen 100 und 150 Euro.
Der Ingenieur-Kompromiss: Sie investieren rund 100 Euro in ein Zertifikat, erhalten dafür aber eine unbezahlbare Sicherheit. Ein guter SOH-Wert rechtfertigt den Kaufpreis, ein schlechter Wert ist Ihr stärkstes Argument für eine massive Preisverhandlung oder den Abbruch des Kaufs. Diese Investition ist die beste Versicherung gegen einen teuren Fehlkauf.
Der Praxis-Check bei der Probefahrt
Wenn kein Zertifikat vorliegt, können Sie sich mit einigen Tests einen groben Eindruck verschaffen:
- Reichweiten-Check bei 100%: Bitten Sie den Verkäufer, das Auto vor der Probefahrt vollständig auf 100% zu laden. Notieren Sie sich die angezeigte Reichweite und vergleichen Sie diese mit der ursprünglichen WLTP-Reichweite des Modells. Ist die Abweichung bei moderaten Außentemperaturen größer als 20-25%, ist Vorsicht geboten.
- Praktischer Reichweitentest: Fahren Sie eine definierte Strecke (z.B. 20 km, gemischt Stadt/Landstraße) und notieren Sie den prozentualen Abfall des Ladestands (SoC). Wenn Sie für 20 km beispielsweise 10% der Batterie verbraucht haben, können Sie die Gesamtreichweite grob auf 200 km hochrechnen.
- Schnelllade-Test: Fahren Sie den Akku auf unter 20% und besuchen Sie eine DC-Schnellladesäule. Das Auto sollte (bei warmer Batterie) eine vernünftige Ladeleistung erreichen. Lädt es extrem langsam, kann dies ein Hinweis auf Probleme sein.
Abseits des Akkus: Typische Schwachstellen bei gebrauchten Stromern
Auch wenn der Antrieb wartungsarm ist, gibt es E-spezifische Schwachstellen, die Sie prüfen sollten.
Die Bremsen: Verrostet statt verschlissen
Durch die starke Rekuperation werden die mechanischen Bremsen bei E-Autos extrem selten genutzt. Das führt zum Paradoxon, dass nicht die Beläge verschleißen, sondern die Bremsscheiben durch mangelnde Nutzung anfangen zu rosten (Flugrost) und “verglasen”. Eine riefige, verrostete Bremsscheibe kann bei der nächsten Hauptuntersuchung (TÜV) zum Problem werden und ein teurer Austausch kann fällig sein, obwohl die Beläge noch fast neu sind.
Die Reifen
Prüfen Sie das Reifenprofil genau. Das hohe Gewicht und das sofort anliegende Drehmoment können bei sportlicher Fahrweise zu einem erhöhten Reifenverschleiß führen. Achten Sie zudem darauf, ob spezielle E-Auto-Reifen mit geringem Rollwiderstand montiert sind.
Lade-Equipment und Software
- Ladeanschlüsse: Kontrollieren Sie die Ladeports (AC und DC) auf sichtbare Beschädigungen.
- Ladekabel: Ist das originale Typ-2-Ladekabel und das Notladekabel (“Ladeziegel”) für die Haushaltssteckdose vorhanden und in gutem Zustand?.
- Software-Stand: Prüfen Sie im Infotainment-System, ob die Software auf dem aktuellen Stand ist. Ein veralteter Stand kann auf vernachlässigte Wartung hindeuten.
Tipp von Alex Wind: Fragen Sie gezielt nach der Ladehistorie des Vorbesitzers. Wurde das Fahrzeug überwiegend schonend an einer AC-Wallbox geladen oder war es ein Flottenfahrzeug, das fast täglich am DC-Schnelllader “gestresst” wurde? Häufiges Schnellladen kann die Batteriealterung beschleunigen.
Fazit: Wissen ist Ihr bester Verhandlungschip
Der Kauf eines gebrauchten Elektroautos ist heute kein unkalkulierbares Risiko mehr. Der Markt ist transparent geworden, und die Werkzeuge zur Überprüfung sind verfügbar und erschwinglich. Die Angst vor einem defekten Akku lässt sich mit einem professionellen Batteriezertifikat für rund 100 Euro vollständig ausräumen.
Fordern Sie ein solches Zertifikat vom Verkäufer an oder machen Sie es zur Bedingung für den Kauf. Der ermittelte SOH-Wert ist nicht nur ein Garant für Ihre Sicherheit, sondern auch Ihr mächtigstes Werkzeug bei der Preisverhandlung. Ein gebrauchtes E-Auto mit einem zertifizierten, gesunden Akku ist eine exzellente und preiswerte Möglichkeit, in die Elektromobilität einzusteigen.
