Autonomes Fahren Level 3 in Deutschland: Was heute schon erlaubt ist

Der Traum vom selbstfahrenden Auto, das uns entspannt und sicher ans Ziel bringt, während wir arbeiten oder einen Film schauen, fasziniert die Menschheit seit Jahrzehnten. Während die vollständige Autonomie (Level 5) noch in weiter Ferne liegt, ist der erste, entscheidende juristische und technische Schritt bereits Realität auf deutschen Autobahnen: das hochautomatisierte Fahren nach “Level 3”. Deutschland hat als eine der ersten Nationen weltweit einen klaren Rechtsrahmen dafür geschaffen. Doch was bedeutet Level 3 genau? Was darf der Fahrer wirklich tun? Und welche Autos können das heute schon?

Die Stufen der Autonomie: Der entscheidende Sprung von Level 2 zu Level 3

Um die Revolution zu verstehen, muss man den Unterschied zum heute weit verbreiteten Level 2 kennen. Die SAE (Society of Automotive Engineers) definiert sechs Stufen der Automatisierung.

  • Level 2 (Teilautomatisierung): Das ist der Status quo in den meisten modernen Fahrzeugen. Systeme wie der “Travel Assist” von VW oder Teslas “Autopilot” können gleichzeitig lenken und beschleunigen/bremsen. ABER: Der Fahrer ist jederzeit voll verantwortlich und muss das System permanent überwachen. Die Hände müssen am Lenkrad bleiben, der Blick auf der Straße. Rechtlich gesehen ist dies nur ein sehr fortgeschrittenes Assistenzsystem.
  • Level 3 (Hochautomatisierung): Hier findet der entscheidende Wandel statt. Unter klar definierten Bedingungen (Operational Design Domain) übernimmt das Fahrzeug die Fahraufgabe und die volle Verantwortung. Der Fahrer darf sich legal vom Verkehrsgeschehen abwenden und Nebentätigkeiten nachgehen – zum Beispiel E-Mails lesen, im zentralen Display einen Film schauen oder ein Buch lesen. Er muss lediglich “übernahmebereit” bleiben, also in der Lage sein, nach Aufforderung durch das System innerhalb einiger Sekunden wieder die Kontrolle zu übernehmen.

Die Rechtslage in Deutschland: Pionier mit (noch) klaren Grenzen

Deutschland hat die UN-Regelung Nr. 157 frühzeitig in nationales Recht umgesetzt und erlaubt den Betrieb von Level-3-Systemen unter folgenden, eng gefassten Bedingungen:

  • Wo? Nur auf Autobahnen oder autobahnähnlichen Straßen ohne Fußgänger oder Gegenverkehr.
  • Wann? Ursprünglich nur bei zähflüssigem Verkehr oder im Stau.
  • Wie schnell? Die ursprüngliche Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h wurde Ende 2024 für zertifizierte Systeme in Deutschland auf bis zu 95 km/h angehoben.

Die Systeme am Markt: Mercedes macht den Anfang

Der Pionier und derzeit einzige Anbieter eines zertifizierten Level-3-Systems in Deutschland ist Mercedes-Benz mit dem DRIVE PILOT.

  • Verfügbarkeit: Das System ist optional für die S-Klasse und den EQS erhältlich.
  • Funktionsweise: Bei dichtem Verkehr auf der Autobahn bietet das Fahrzeug dem Fahrer die Aktivierung des DRIVE PILOT an. Nach Bestätigung übernimmt das System. Es hält die Spur, den Abstand und reagiert auf alle Verkehrssituationen. Der Fahrer kann sich nun legal anderen Dingen widmen.
  • Übernahmeaufforderung: Naht das Ende des Staus, eine Baustelle oder eine Tunneldurchfahrt, fordert das System den Fahrer mit mehrstufigen optischen und akustischen Signalen auf, die Kontrolle wieder zu übernehmen. Reagiert der Fahrer nicht (z.B. aufgrund eines medizinischen Notfalls), leitet das System einen sicheren Nothalt ein.

Die entscheidende Frage: Wer haftet bei einem Unfall?

Dies ist der juristische Kern von Level 3. Solange der DRIVE PILOT aktiv ist und das Fahrzeug selbstständig fährt, haftet der Hersteller (also Mercedes-Benz) für einen vom System verursachten Unfall. Erst wenn der Fahrer nach einer korrekten Übergabeaufforderung nicht oder falsch reagiert, geht die Verantwortung wieder auf ihn über. Um dies lückenlos zu dokumentieren, zeichnen die Fahrzeuge relevante Daten in einer Art “Blackbox” auf.

Tipp von Alex Wind: Der Unterschied zwischen Level 2 und Level 3 ist fundamental. Auch wenn ein Level-2-System technisch sehr fähig erscheint und das Auto minutenlang alleine fährt – sobald etwas passiert, sind Sie als Fahrer in der Haftung. Nur bei einem aktivierten und zertifizierten Level-3-System geht die Verantwortung legal auf den Hersteller über.

Die Zukunft: Von 95 auf 130 km/h?

Die Entwicklung bleibt nicht stehen. Die zugrundeliegende UN-Regelung wurde bereits erweitert, um Level-3-Fahren prinzipiell bis 130 km/h und inklusive automatischer Spurwechsel zu ermöglichen. Mercedes-Benz hat angekündigt, die Fähigkeiten des DRIVE PILOT bis Ende des Jahrzehnts entsprechend erweitern zu wollen. Zudem wird an neuen visuellen Kennzeichnungen geforscht, wie speziellen türkisfarbenen Lichtern, um anderen Verkehrsteilnehmern zu signalisieren, dass sich ein Auto im autonomen Modus befindet.

Fazit: Der erste Schritt ist getan, der Weg ist noch weit

Autonomes Fahren nach Level 3 ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern ein – wenn auch teures und bisher auf wenige Szenarien beschränktes – Extra, das man heute kaufen kann. Es ist ein monumentaler Schritt, da er erstmals den Fahrer rechtlich aus der Verantwortung entlässt.

In seiner jetzigen Form ist es vor allem ein extrem fortschrittlicher “Staupilot” für Pendler, die viel Zeit auf vollen Autobahnen verbringen. Die wahre Bedeutung liegt jedoch darin, dass die technischen und rechtlichen Grundlagen nun geschaffen sind. Auf dieser Basis wird sich das autonome Fahren in den kommenden Jahren schrittweise von der Stausituation auf höhere Geschwindigkeiten und komplexere Szenarien ausweiten und unseren automobilen Alltag nachhaltig verändern.

Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von Voltfokus.de und Chefredakteur des Mediennetzwerks, zu dem auch HH-AUTO gehört. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit Spezialisierung auf alternative Antriebe und Batterietechnologie bringt er über 10 Jahre Branchenerfahrung in seine Analysen ein. Bei Voltfokus.de teilt er seine Expertise in fundierten Tests, Ratgebern und technischen Berichten rund um die Elektromobilität.