Für viele Autofahrer ist die Anhängerkupplung (AHK) ein unverzichtbares Werkzeug: für den Transport von Gartenabfällen, den Möbelkauf, den Umzug oder – die Königsdisziplin – das Ziehen eines Wohnwagens. Lange Zeit war dies die Achillesferse der Elektromobilität. Viele E-Autos durften gar nichts ziehen, und die wenigen, die es konnten, litten unter massivem Reichweitenverlust. Doch die Zeiten haben sich geändert. Moderne Elektro-SUVs und Limousinen bieten beeindruckende Anhängelasten. Aber ist das Ziehen eines Anhängers mit einem E-Auto wirklich schon alltagstauglich? Wir analysieren die drei entscheidenden Herausforderungen: Anhängelast, Reichweite und das größte Problem von allen – das Laden.
Die wichtigste Frage: Wie viel darf mein E-Auto ziehen?
Bevor Sie überhaupt an einen Anhänger denken, ist ein Blick in die Fahrzeugpapiere (Zulassungsbescheinigung Teil 1, Feld O.1 und O.2) unerlässlich. Denn hier gibt es riesige Unterschiede:
- Keine Anhängelast (0 kg): Viele kleinere oder ältere E-Autos wie der Renault Zoe, der Fiat 500e oder der VW ID.3 (mit kleiner Batterie) sind vom Hersteller nicht für das Ziehen von Anhängern freigegeben.
- Geringe Anhängelast (bis 750 kg): Einige Kompaktmodelle dürfen zumindest kleine, ungebremste Anhänger für leichte Transportaufgaben ziehen.
- Hohe Anhängelast (1.500 kg und mehr): Moderne E-SUVs und Limousinen auf dedizierten Plattformen haben sich zu exzellenten Zugfahrzeugen entwickelt.
| Modellbeispiele für hohe Anhängelasten (gebremst) | |
| Kia EV9 | 2.500 kg |
| BMW iX / iX1 | 2.500 kg |
| Tesla Model X | 2.250 kg |
| Audi Q8 e-tron | 1.800 kg |
| VW ID. Buzz LWB | 1.800 kg |
| Tesla Model Y | 1.600 kg |
| Hyundai Ioniq 5 / Kia EV6 | 1.600 kg |
Wichtiger Unterschied: Stützlast! Auch wenn ein Auto keine Anhängelast hat, kann die Montage einer Kupplung für einen Fahrradträger erlaubt sein. Entscheidend ist hier die eingetragene “Stützlast”, die meist zwischen 50 und 75 kg liegt.
Der Realitäts-Check: Der massive Reichweitenverlust mit Anhänger
Dies ist der kritischste Punkt, den jeder verstehen muss, bevor er mit einem E-Auto-Gespann auf Reisen geht: Der Energieverbrauch steigt dramatisch an. Dafür gibt es zwei Gründe: das zusätzliche Gewicht und vor allem der massive Luftwiderstand des Anhängers.
Als verlässliche Faustregel gilt: Rechnen Sie mit einer Halbierung Ihrer normalen Reichweite.
Ein konkretes Rechenbeispiel:
- Ihr E-Auto hat eine realistische Solo-Reichweite von 400 km auf der Autobahn.
- Sie hängen einen mittelgroßen Wohnwagen an, der den Verbrauch von 22 kWh/100 km auf ca. 40-45 kWh/100 km fast verdoppelt.
- Ihre realistische Reichweite mit dem Wohnwagen am Haken sinkt auf ca. 200 bis 220 km.
Eine Reise von 600 Kilometern erfordert also statt eines Ladestopps plötzlich zwei bis drei Stopps. Die Reiseplanung muss komplett neu gedacht werden.
Tipp von Alex Wind: Moderne E-Autos haben oft einen speziellen “Anhänger-Modus”. Aktivieren Sie diesen unbedingt! Das System passt dann nicht nur die Stabilitätskontrolle (ESP) an, sondern versucht auch, den Mehrverbrauch in die Reichweitenprognose und die Ladeplanung des Navigationssystems einzubeziehen. Die Prognose wird dadurch deutlich verlässlicher.
Die größte Herausforderung in der Praxis: Das Laden mit Anhänger
Der drastisch reduzierte Aktionsradius wäre planbar, gäbe es da nicht ein riesiges logistisches Problem: das Design der meisten Schnellladeparks. Diese sind in der Regel als Parkbuchten konzipiert, die frontal angefahren werden. Mit einem Anhänger ist es physikalisch unmöglich, an eine solche Ladesäule heranzufahren, ohne mehrere Plätze zu blockieren oder sich komplett festzufahren.
Das bedeutet in der Praxis: Vor fast jedem Ladestopp müssen Sie den Anhänger abkuppeln, das Auto an die Säule fahren, laden und danach den Anhänger wieder ankuppeln. Das ist umständlich, zeitaufwendig und oft mit Rangierstress auf vollen Ladeplätzen verbunden.
Langsam setzt sich jedoch eine Lösung durch: “Durchfahrbare” Ladeparks, bei denen die Ladesäulen wie bei einer klassischen Tankstelle seitlich angeordnet sind, sodass ein Gespann einfach durchfahren kann. Anbieter wie EnBW und Ionity beginnen, solche “Pull-Through”-Layouts an wichtigen Autobahnkreuzen zu errichten, aber sie sind noch die seltene Ausnahme.
Fazit: Technisch möglich, aber mit erheblichem Planungsaufwand
Das Ziehen von Anhängern mit Elektroautos ist im Jahr 2025 keine Utopie mehr. Viele Modelle bieten Anhängelasten, die denen von Verbrennern in nichts nachstehen, und das hohe Drehmoment des E-Antriebs sorgt für ein extrem souveränes und entspanntes Fahren mit Gespann.
Der Ingenieur-Kompromiss ist jedoch unübersehbar: Man gewinnt ein überlegenes, leises und kraftvolles Fahrerlebnis, erkauft sich dies aber mit einem massiven Reichweitenverlust und erheblichen logistischen Herausforderungen bei der Ladeplanung und -durchführung.
Für den gelegentlichen Transport von Gartenabfällen zum Wertstoffhof ist ein E-Auto mit AHK perfekt. Für die große Urlaubsreise mit dem 1,8-Tonnen-Wohnwagen an den Gardasee ist es technisch möglich, erfordert aber eine fast schon wissenschaftliche Routenplanung, viel Geduld beim Laden und die Bereitschaft, den Anhänger an vollen Raststätten ab- und wieder ankuppeln zu müssen.
