Volkswagen. Kein anderer Name ist so sehr mit dem Versprechen von “Mobilität für Millionen” verbunden wie der des Wolfsburger Konzerns. Doch im Elektro-Zeitalter geriet dieses Versprechen ins Wanken. Der ID.3 war ein wichtiger erster Schritt, aber zu teuer und in seiner ersten Generation zu fehlerbehaftet, um ein wahrer “Volks-Wagen” zu sein. Angesichts der wachsenden Konkurrenz durch preisgünstige Modelle aus China und Europa steht VW unter enormem Druck. Die Antwort aus Wolfsburg ist eine strategische Neuausrichtung und eine Rückkehr zu den Wurzeln: eine Produktoffensive an beiden Enden des Kompaktsegments, getragen von den legendärsten Namen der Markengeschichte – Polo und Golf.
Die erste Welle: Der ID. Polo – Ein elektrischer Volkswagen für unter 25.000 Euro
Die wichtigste und mit Abstand am meisten erwartete Neuheit ist die Serienversion der Studie ID. 2all, die ab 2026 als ID. Polo auf den Markt kommen wird. Dieses Auto ist VWs direkte Antwort auf Modelle wie den Renault 5 oder den Citroën ë-C3 und soll die Elektromobilität für eine breite Käuferschicht erschwinglich machen.
- Das Ziel: Ein Basispreis von unter 25.000 Euro.
- Die Technik: Um diesen Preis zu erreichen, nutzt der ID. Polo eine neue, kosteneffizientere Plattform-Variante namens “MEB Entry”. Der größte technische Unterschied zu den bisherigen ID.-Modellen ist der Frontantrieb. Dies spart Kosten und schafft im Heck mehr Platz.
- Das Konzept: Bei einer Außenlänge von nur 4,05 Metern, also exaktem Polo-Format, verspricht VW einen Innenraum mit dem Platzangebot eines Golf und einen für diese Klasse gigantischen Kofferraum von 490 Litern.
- Die Daten: Geplant sind verschiedene Akku-Größen mit einer maximalen WLTP-Reichweite von bis zu 450 Kilometern und eine Ladezeit von nur rund 20 Minuten von 10 auf 80 Prozent. Sogar eine sportliche GTI-Version mit 226 PS ist bereits bestätigt.
Der ID. Polo ist der Eckpfeiler von VWs “Electric Urban Car Family”, die 2026 starten soll und auch Schwestermodelle von Cupra (Raval) und Skoda umfassen wird. Er ist der Generalangriff auf das preisgünstige Segment.
Die zweite Welle: Die Ikone kehrt zurück – der rein elektrische ID. Golf
Während der ID. Polo das untere Preissegment abdecken soll, plant VW die Absicherung des Markenkerns. Der legendäre Name Golf, Europas meistverkauftes Auto, wird nicht sterben. Die neunte Generation wird rein elektrisch sein und als ID. Golf auf den Markt kommen.
Doch hier ist mehr Geduld gefragt. Der ID. Golf wird nicht auf der aktuellen MEB-Plattform basieren, sondern auf der komplett neuen Konzern-Architektur der Zukunft, der Scalable Systems Platform (SSP). Diese hochmoderne Plattform verspricht Quantensprünge bei Effizienz, Ladeleistung und Digitalisierung, ihre Entwicklung erweist sich jedoch als komplex. Aufgrund von Verzögerungen bei der SSP-Plattform, insbesondere bei der Software, wird der Start des ID. Golf nun nicht mehr vor 2029 erwartet.
Tipp von Alex Wind: Die Namensstrategie von VW hat sich geändert. Anstatt auf rein numerische Bezeichnungen wie “ID.3” oder “ID.4” zu setzen, kehrt die Marke zu ihren ikonischen Namen zurück. Dies soll den Kunden die Orientierung erleichtern und die emotionale Verbindung zu den neuen E-Modellen stärken. Erwarten Sie also in Zukunft auch einen elektrischen “ID. Tiguan” oder “ID. Passat”.
Die Strategie: Ein Zangenangriff auf den Massenmarkt
Die Doppelstrategie ist klar:
- Angriff von unten: Mit dem ID. Polo und einem noch günstigeren ID. 1 (geplant für 2027 zu Preisen um 20.000 Euro) will VW den preissensiblen Einstiegsmarkt erobern und der wachsenden Konkurrenz aus China und Frankreich die Stirn bieten.
- Verteidigung des Kerns: Mit dem technologisch hochmodernen ID. Golf auf der SSP-Plattform will man ab Ende des Jahrzehnts die anspruchsvolle und ertragreiche Kompaktklasse verteidigen und die traditionellen Golf-Fahrer in die E-Mobilität überführen.
Der Ingenieur-Kompromiss: Um die Zeit bis zum Start der SSP-Plattform zu überbrücken und die Investitionen in die aktuelle Technik zu amortisieren, wird VW ab 2026 zunächst Modelle auf einer weiterentwickelten MEB+ Plattform auf den Markt bringen. Diese werden Verbesserungen bei Effizienz und Ladeleistung bieten, aber nicht den Technologiesprung der SSP-Architektur.
Fazit: Eine Rückkehr zu den Wurzeln und ein Wettlauf mit der Zeit
Volkswagen besinnt sich auf seine größte Stärke: die Entwicklung und Produktion von hochwertigen, durchdachten Autos für eine breite Masse. Die angekündigte “Familie” von elektrischen Kleinwagen um den ID. Polo hat das Potenzial, die Elektromobilität in Europa entscheidend voranzutreiben und dem Markennamen “Volkswagen” wieder seine ursprüngliche Bedeutung zu geben.
Der Erfolg dieser Strategie wird jedoch ein Wettlauf mit der Zeit. Konkurrenten wie Renault, Stellantis und BYD sind bereits mit aggressiven Angeboten im günstigen Segment präsent. Und die Verzögerung des technologischen Leuchtturm-Projekts ID. Golf zeigt, wie komplex der Wandel für einen Giganten wie VW ist. Die nächsten Jahre werden entscheidend dafür sein, ob der Wolfsburger Konzern seine dominante Stellung in Europa auch im Elektro-Zeitalter behaupten kann.
